Als bei der Tagung des Verbandes Deutscher Geigenbauer und Bogenmacher im bayerischen Mittenwald 2015 beschlossen wurde, dass das nächste Thema für die Neubaugruppe diese „Kanone” sein sollte, nahm ich das als Anlass, mich endlich einmal mit einem Nachbau dieses berühmten Instrumentes zu befassen. Die Neubaugruppe des VDG wird von Mitgliedern gebildet, die regelmäßig neue Instrumente bauen. Jedes Jahr wird ein anderes Thema vorgegeben. Die gebauten Instrumente werden dann bei der nächsten Tagung ausgestellt und einer Klangprobe unterzogen. Es bleibt dabei den Geigenbauern überlassen, wie sie das vorgegebene Instrument interpretieren – als Kopie, als Anlehnung an das Modell mit eigener Interpretation oder als Inspiration für eine neues Instrument.
Ich beschloß, wie bei dem zuvor gebauten 7/8 Cello, mich an die originalen Masse zu halten und die Abweichungen und Asymmetrien des Vorbildes zu übernehmen, die Lackierung aber leicht imitiert nach meinem eigenen Geschmack zu gestalten.
Die Arbeit begann mit dem Vergrössern der Fotos der „Kanone” auf das Originalmaß. Die Fotos entnahm ich dem Buch „Giuseppe Guarneri del Gesu“, das ich von dessen Autor Peter Biddulph als Dank für die Restauration eines Instrumentes bekommen habe. Das Buch enthält sämtliche Masse der von del Gesu gebauten und erhaltenen Instrumente und bildet somit eine sehr gute Arbeits- und Studiengrundlage.
Als nächster Schritt folgte die Anfertigung der Spitzschablone und des Formbrettes.
Das Formbrett legt die Form des Instrumentes fest, es bestimmt den Umriß von Zargenkranz, Boden und Decke. Auf dem folgenden Foto kann man die eingeleimten und mit Zwingen fixierten Futterleisten erkennen. Die Zargen der Kanone sind ca. 2-3mm höher als gewöhnlich.
Der Ahorn der originalen „Kanone“ ist eher unspektakulär. Vom Arbeitsaufwand macht es kaum einen Unterschied, ob man schlichtes Holz verwendet oder einen tief geflammten Ahorn. Wenn man aber ca. 200 Arbeitsstunden in ein selbstgebautes Meisterinstrument steckt, dann sind einige hundert Euro Materialersparnis vernachlässigbar. Deshalb verwende ich für meine Instrumente das schönste Holz, das ich bekommen kann.
Auf dem nächsten Foto kann man den wunderschönen Boden sehen, der bereits mit meinem Namen gestempelt und auf den Zargenkranz aufgeleimt ist.
Die Stärken von Boden und Decke übernahm ich ebenfalls vom Originalinstrument. Eine Auffälligkeit ist der sehr dicke Boden mit ca. 6mm Stärke in der Mitte.
Die f-Löcher der originalen „Kanone“ sind sehr verschieden – so ist das f-Loch auf der Bassseite um einige Millimeter länger und hat eine etwas andere Schrägstellung. Diese Asymmetrie habe ich übernommen.
Wenn ich ein neues Instrument baue, dann leime ich zuerst Boden und Decke auf den Zargenkranz auf und schneide dann erst den Umriß endgültig fertig. Anschließend wir der Rand am geschlossenen Instrumentenkorpus eingelegt. Forschungen zufolge ist das die authentische Arbeitsreihenfolge der alten italienischen Meister.
Nach dem Formen des Randes wurde die Randhohlkehle gestochen. Bei Guarneri del Gesus Instrumenten sind oft Werkzeugspuren von diesem Arbeitsschritt noch erkennbar. Es kostete mich ein großes Maß an Selbstüberwindung, auch bei meinem Instrument die Werkzeugspuren stehen zu lassen und nicht die Hohlkehle perfekt mit der Ziehklinge zu putzen. Beim fertigen Instrument sind diese Arbeitsspuren unter dem Lack gut erkennbar.
Nach dem Schnitzen der Schnecke und dem Einpassen des Halses in den Korpus war das Instrument fertig zum Lackieren. Im folgenden Bild kann man den wunderschönen und bereits gebräunten Boden der Violine sehen.
Zum Lackieren verwendete ich wieder meinen selbstgekochten edlen Öllack, den ich über 15 Jahre entwickelt und ständig weiterverbessert habe. Er besteht zu 100% aus biologischen Zutaten, enthält also keine gesundheitsschädlichen Lösungsmittel. Die Zutaten – Leinöl und verschiedene natürliche Harze – waren auch zur Zeit der alten Meister in Gebrauch. Aufgetragen wird mein Öllack nicht mit dem Pinsel, er wird vielmehr mit den Fingerballen aufgetupft. Das hat unter anderem den Vorteil, dass man nach dem Lackieren keine Pinsel auswaschen muß 😉 Während des Trocknens im UV-Schrank verfließen die Spuren vom Auftragen und es bildet sich eine sehr schöne und haptisch warme Lackoberfläche. Diese Oberfläche wird nicht spiegelglatt poliert wie bei einem Autolack, sondern so belassen. Sie lässt die darunterliegende Struktur der Holzoberfläche erkennen. In diesen minimalen Vertiefungen lagert sich mit den Jahren Patina ab, wie man es heute bei den Instrumenten der alten Meister bewundern kann. Wären die Lacke der alten Instrumente ursprünglich glatt poliert worden, dann wären keine Vertiefungen vorhanden gewesen, in denen sich die Patina bilden hätte können.
Bei meiner Geige gestaltete ich die Lackierung nach meinen eigenen Vorstellungen und nicht dem Originalinstrument entsprechend. Um dem Instrument ein etwas wärmeres Aussehen zu geben imitierte ich den Lack ganz dezent. So wurden an Stellen, an denen der Spieler mit dem Instrument in Kontakt kommt (z.B. Oberzarge, Kinnstelle der Decke, Schnecke und Wirbelkasten,…) die Lackschicht dünner gelassen um eine gewisse Abnützung zu imitieren.
An anderen Stellen erzeugte ich ein künstliches Krakele – das sind feine Lackrisse, in denen sich mit der Zeit Patina ansammelt. Diese Eigenheit ist oft an alten Instrumenten zu sehen, vor allem bei Instrumenten der venezianer Schule (z.B. Domenico Montagnana, Matteo Gofriller).
Am selben Tag, an dem ich die Saiten aufzog und das Instrument fertig stellte, wurde es von Tomasz Liebig, einem hervorragenden Geiger und Konzertmeister des Brucknerorchesters Linz, abgeholt. Am Tag darauf spielte er die Violine im Linzer Musiktheater bei der Aufführung des Balletts Schwanensee von Peter Iljitsch Tschaikowsky. In diesem Werk hat der Konzertmeister mehrere schöne Violinsoli. Ich saß ganz nervös und angespannt im Publikum. Tomasz spielte wunderschön und sehr facetten- und farbenreich. Die Geige klang ganz klar und deutlich und trug locker über das Orchester hinweg. Wie Tomasz mir berichtete, bekam er nach der Aufführung Komplimente von seinen Orchesterkollegen. Diese konnten es kaum glauben, dass die von ihm gespielte Geige nur 2 Tage “alt” war.
Mein Dank gilt an dieser Stelle dem Konzertmeister Tomasz Liebig. Es verlangt schon ein hohes Maß an Risikobereitschaft und Professionalität, ein eigentlich unbekanntes Instrument solistisch im Konzert zu spielen. Das beweist einmal mehr, daß die Fertigkeit des Musikers einen großen, wenn nicht gar den größten Teil des Klanges eines Instrumentes ausmacht. Doch nur wenn das Zusammenspiel zwischen Künstler und Instrument harmoniert, wenn sich beide optimal ergänzen, kann es zu einem außergewöhnlichen Klangerlebnis kommen.
Mein Mentor, Freund und Kollege Otto Karl Schenk, der auch sehr viele neue Instrumente baut, und mich mit seiner unbezahlbaren konstruktiven Kritik auf meinem Weg begleitet, meinte: „Alex, das ist keine Kanone, das ist eine Bombe!“.
Johanna Bohnen, Geigerin und Stimmführerin im Brucknerorchester Linz, meint: „Mit der neuen Geige müsstest du, wenn du letztens Silber bekommen hast, zumindest Klang-Gold kriegen, ist glaub ich was ganz Besonderes und Einzigartiges im Klang.“