Für diese Violine suchten Lui und ich gemeinsam passendes Holz aus dem über 80 Jahre lang abgelagerten Klangholz, das ich letztes Jahr von einem Kollegen kaufen konnte. Wir fanden ein dem Boden der Originalgeige sehr ähnliches Stück Ahorn und eine perfekt passendes Stück Fichtenholz für die Decke.
Als ersten Schritt nahm ich von der Originalgeige sämtliche Maße ab, sowie die Umrisse und Wölbungskurven von Boden und Decke und die Form der ff-Löcher. Zusätzlich dazu machte ich Nahaufnahmen von der Geige aus verschiedenen Blickrichtungen.
Mit Hilfe der Maße und abgenommenen Umrisse fertigte ich ein Formbrett an. Dann konnte ich mit dem tatsächlichen Bau des Instrumentes beginnen.
Auf den folgenden beiden Aufnahmen des Korpusinneren durch das Knöpfchenloch der originalen Rocca kann man erkennen, daß das Fichtenholz für die Futterleisten nicht wie gewohnt im Spiegelschnitt sondern im Schwartenschnitt verwendet wurde. Auffällig ist auch das sehr weitjähriges Fichtenholz des Oberklotzes.
Für die Kopie verwendete ich ebenfalls weitjähriges Fichtenholz für die Klötze und für die Futterleisten wurde auch der Schwartenschnitt verwendet. Auf dem Foto ist das weitjährige Fichtenholz für die Klötze zu erkennen.
Das sind nur zwei Beispiele für die vielen Details, die in Summe sehr wichtig für das optische und akustische Endergebnis sind, und die bei jedem Fertigungsschritt beachtet und umgesetzt wurden. Dem Wunsch von Lui Chan entsprechend trafen wir uns mehrmals um zusammen den Hals so zu gestalten, daß er sich genau so anfühlte wie der Hals der Originalgeige. Ziel war es, daß Lui sich auf der Kopie genau so „zu Hause“ fühlen sollte wie auf seinem Originalinstrument. Lui stellte mir in regelmässigen Abständen seine Geige zur Verfügung, um während der Arbeit an der Kopie diese 1:1 mit dem Originalinstrument vergleichen zu können. Nach unzähligen Arbeitsstunden war das Instrument fertig zum Lackieren. Die folgenden beiden Fotos zeigen das bereits vorgebräunte Instrument vor dem Lackieren.
Als Lui Chan die Geige zum ersten Mal bei mir im Atelier anspielte, nahm er diese nach einigen kurzen Passagen von der Schulter, sah sie an und sagte: „Wahnsinn, was ist denn das!?!“
So eine positive Reaktion eines Profi läßt das Herz eines Geigenbauers höher schlagen und ist die größte Belohnung für die vielen Arbeitsstunden.
Lui spielte noch am selben Abend eine Vorstellung mit dem Brucknerorchester auf der neuen Geige. Am nächsten Tag verabredeten wir uns im Brucknerhaus, wo wir im großen Saal zusammen mit dem Konzertmeister Tomasz Liebig und der ersten Geigerin Chie Akasaka-Schaupp nochmals gemeinsam eine Klangeinstellung machten. Wir waren alle vom Klang der neuen Geige begeistert!
Ich wünsche Lui Chan viel Freude und Erfolg mit seiner neuen Geige!
Wenn Sie ihn das nächste Mal im Konzert hören, liegt es an Ihnen zu erraten auf welcher Geige er dann gerade spielt.
Fotos von der Kopie finden Sie hier.