Ich bin ja einiges gewohnt und habe in meinem Atelier schon die kuriosesten Dinge erlebt. Ich staunte aber nicht schlecht, als mir mein Freund Heinz aus dem fernen Waldviertel ein Plastiksackerl in die Hand drückte, in dem sich Einzelteile einer Geige befanden.
Noch mehr staunte ich allerdings, als er mir die unglaubliche Geschichte dieser Geige erzählte, aber lesen Sie selbst:
„Die Geige wurde ca. Mitte der 60er Jahre in Wiener Neustadt von meinem Vater gekauft. Meine Freude hielt sich in Grenzen, weil der Hals viel zu schmal war. Der Kommentar meines Lehrers: „Dann gehen halt die Quinten besser zu spielen.“ Ich enthalte mich jeglichen Kommentares.
Nach Beendigung meines Medizinstudiums konnte ich mir eine Restaurierung leisten. Diese wurde in Wien von einem Geigenbauer durchgeführt, dem Stradivari und Guarneri erschienen waren. Seine neuen Geigen waren einigermaßen brauchbar, da er ja diese Erscheinung hatte, aber leider keine Erscheinung für eine gute Restauration.
Ich hatte dann ca. ein Jahr die Geige an einen Profigeiger verborgt und spielte inzwischen auf dessen „Silberstift“-Geige. Somit konnte ich deren Klang beurteilen. Nach ca. einem Jahr haben wir dann zurückgetauscht und ich mochte die Geige noch immer nicht, weil ich schön langsam merkte, daß die Restauration nur optisch gelungen war.
Dann erfolgte noch ein Versuch der Restauration in Linz bei einem Geigenbauer den es nicht mehr gibt. Wieder ein Jammer.
Doch ein halber Balte gibt nicht auf! Nach vielen Jahren wagte ich noch einen Versuch bei einem Geigenbauer aus dem Land des Brexit im Speckgürtel von Wien. Nach Monaten erkundigte ich mich wie es mit meinem „Lieblingsinstrument“ stünde und erhielt folgende Info: „Ich bin jetzt zweimal umgezogen, habe die Geige zerlegt und finde die Trümmer nicht und weiß nicht, was ich damit machen soll.“
Meine Wut war grenzenlos, da ich bei diesem Typen schon einmal eine von ihm gebaute gute Geige gekauft hatte! Nach Jahren traf ich den Menschen zufällig und er erklärte seelenruhig, er habe die Trümmer wieder gefunden! Unverzüglich holte ich den traurigen zerlegten derangierten Rest in einem Plastiksackerl ab!
Und dann das Wunder von Linz!
Ich brachte die Restbestände zu meinem Freund Alexander. Dieser hat sie auf geniale Weise „reanimiert“! Jetzt paßt alles – Mensur ok, Klang wunderbar. So gut hatte sie nie geklungen und brauchte praktisch keine Einspielzeit, was ich eigentlich selber nicht begreife.
Diese Geschichte ist von mir geschrieben und 100% autentisch!!! Außer daß ich einige negative früheren Restaurationsdetails weggelassen habe!“
So wurde mir die Geige von Heinz überreicht – in Einzelteilen in einem Plastiksackerl, wie er sie von einem meiner Kollegen zurück erhielt.
Die Einzelteile nach dem „Auspacken“
Im folgenden die schrittweise Restaurierung der gebrochenen diskantseitigen Oberzarge. Hier die Ansicht von der Außenseite
Ansicht von der Innenseite
Das abgebrochene Zargenstück war noch vorhanden
Die Bruchflächen wurden gereinigt und die beiden Stücke probeweise zusammengefügt
Leimen der beiden Bruchstücke
Außenansicht nach dem Dublieren der Zarge
Nach dem Retuschieren
Die baßseitige Oberzarge war ebenfalls beschädigt. Sie hatte einige alte und verschmutzte Risse, ein kleiner Teil der Zarge fehlte und war leider auch nicht mehr vorhanden
Die Zargenrisse wurden gereinigt und geleimt
Dann wurde die Zarge für die Aufnahme eines Originalspanes vorbereitet, der von der Innenseite der Zarge entnommen wurde, um es an dieser Stelle einzusetzen
Eingeleimter Originalspan (hier gibt es weitere Informationen zu dieser Restaurationstechnik der Originalholz Transplantation)
Nach dem Retuschieren
Am Boden gab es unterhalb des Zäpfchens eine unschöne Lackabnützung
Diese Stelle retuschierte ich auf Wunsch von Heinz ebenfalls
Die Position des g-Wirbels wurde ebenfalls korrigiert, denn der Wirbel war zu nahe am Wirbelkastenende positioniert und kam Heinz beim Spielen in der ersten Lage in die Quere. Wie man sieht hatten sich schon einige Geigenbauer an den Ausbuchsern ausgetobt!
Ausgebuchstes Wirbelloch
Neue Position des Wirbels
Im Zuge der Restauration wurde der fehlende Oberklotz ersetzt und der Halsfuß an allen Seiten angesetzt, um unter anderem vor allem die Halsmensur zu korrigieren. Diese war nämlich zu kurz, obwohl dem Instrument im Laufe seines Leidensweges ein Anschäfter verpaßt wurde.
Zuletzt wurde die Geige wieder spielfertig gemacht. Auch in dieses Instrument setzte ich den bereits legendären venezianischen Stimmstock ein. Diese Stimmstöcke befinden sich mittlerweile in Instrumenten von unter anderem Nicolo Amati, Andrea Guarneri, Florenus Guidantus, Testore, Gagliano, Mezzadri und natürlich serienmäßig in allen meinen selbstgebauten Meisterinstrumenten.
Hier finden Sie nähere Informationen zu diesem „venezianischen Stimmstock“.
So sah die Geige dann nach der Restauration aus (die alten Deckenrisse haben wir so belassen wie sie waren)
„Lieber Alex ich kann nur sagen GRATULATION!!!!!!!
P.S.: Was ich noch gelernt habe: gute Geigen bauen und genial restaurieren sind 2 Paar Schuhe – Du kannst beides – aber das wissen deine Kunden ohnedies!
Liebe Grüße, Heinz“
Heinz ist übrigens auch glücklicher Besitzer einer von mir gebauten Geige. Er hatte den Kauf fix zugesagt, noch bevor er sie überhaupt probiert hatte, weil „ich einfach wußte, daß ich damit kein Risiko einging“ (Zitat Heinz).