Zusätzlich zum Holz schickte mir Otto mehrere Detailfotos samt Maßen eines Cellos von Giovanni Grancino, gebaut in Mailand im Jahre 1695, das einem amerikanischen Cellisten gehört. Das Besondere an diesem Instrument – es hat einen phänomenalen Klang, einen einteiligen Weidenboden, und es ist ein 7/8 Cello. Somit sollte dieses Modell perfekt für meine Frau passen, die eine sehr zierliche Statur und zierliche Hände hat. Es würde somit ein speziell an die Cellistin angepaßtes Instrument werden.
Ende Februar begann ich mit dem Bau des Instrumentes – dem Vergrössern der Fotos auf die Originalmaße, und dem Anfertigen des Formbrettes. Das Instrument sollte nicht streng symmetrisch gebaut werden, vielmehr sollten die leichten Asymmetrien des Originalinstrumentes im neuen Cello erkennbar sein. Meiner Meinung nach hat das mehr Charme und wirkt nicht so steril. Ausserdem kommen gewisse Asymmetrien der besseren Spielbarkeit eines Intrumentes entgegen.
Ich entschloß mich, nicht nur den Boden, sondern auch die Zargen aus Weide zu machen. Für mich war es eine sehr spannende Arbeit, da ich noch nie Weide für einen Instrumentenboden verarbeitet hatte. Weide fühlt sich beim Bearbeiten komplett anders an als Ahorn, den ich bisher immer als Material für Böden verwendet hatte. Weide ist viel leichter, weicher, grobfaseriger und biegsamer, sie ist weniger homogen als Ahorn und die Klopftöne haben andere Frequenzen. Ich konnte mich daher weder auf meine Erfahrungswerte verlassen, die mir bei der Stärkenverteilung eines Ahornbodens sonst eine grobe Orientierung geben, noch auf das Gefühl des Widerstandes bei der Prüfung der Flexibilität des Bodens. Ich vertraute somit auf mein Bauchgefühl und Ottos aufmunternde Worte: „Wenn das Cello nicht gut klingt, schicke ich dir einfach Holz für einen neuen Boden.“
Das Stechen der Bodenwölbung und die Ausarbeitung der Innenwölbung waren ein Genuß – mit dem scharfen Abstecheisen die Weide zu formen war ein Gefühl wie weiche Butter auf ein Brot zu streichen oder mit Schiern auf frischem Firn ins Tal zu wedeln. Ahorn ist da schon viel härter – Stechen eines Cellobodens aus Ahorn ist Schwerarbeit, da hole ich mir regelmäßig Blasen und schiebe meine ca. 150kg schwere Hobelbank quer durch die Werkstatt.
Um der Klangvorstellung meiner Frau gerecht zu werden, versuchte ich mit jedem Arbeitsschritt das erst nach dem Saitenaufziehen erkennbare Resultat in die gewünschte Richtung zu beeinflussen.
Um der Cellistin ein Höchstmaß an Komfort und leichter Spielbarkeit zu bieten, ging ich während des Bauens auf Ihre Wünsche ein – das Griffbrett wurde etwas schmäler gemacht, der Hals so geformt, daß er ihr perfekt in der Hand liegt und die Halsdrehung so abgestimmt, daß beim Streichen der c- und a-Saite genug Bogenfreiheit zum Deckenrand der Mittelbügel bleibt. Die schwingende Saitenlänge ist um ca. 3 cm kürzer als bei einem 4/4 Cello, dadurch sind Dezimgriffe ohnen ständiges Hin- und Herrutschen auch für die zierlichen Hände meiner Frau möglich.
Weiters nahm ich auch beim Lackieren Rücksicht auf die Wünsche der Musikerin. Die Farbe sollte nicht zu dunkel werden, damit das wunderschöne Holz gut zur Geltung kommt. Ich habe die Erfahrung gemacht, daß Instrumente besser klingen, wenn der Lack nicht zu dick ist. Nach einiger Zeit im UV-Schrank war das Holz schon so weit nachgedunkelt, daß ich mit dem Grundieren beginnen konnte. Diese soll die Holzoberfläche gut abdichten und die Schönheit des Holzes verstärken – es entsteht ein 3D-Effekt. Anschließend kamen nur 2 Lackschichten auf das Cello.
Grundierung und Lack koche ich selbst. Die Zutaten sind rein natürlich. Ich habe über 10 Jahre experimentiert, bis ich mit dem Rezept für meinen Lack glücklich war.
Als das Cello im Juli nach ca. 400 Arbeitstunden fertig war und zum ersten mal von meiner Frau angespielt wurde, waren wir beide vom Klang begeistert – voluminös, warm, kraftvoll – ein gelungenes Experiment!
Ich bin froh, daß mir Otto keinen neuen Boden schicken muß, denn somit kann ich jetzt mit meinem nächsten Instrument auf der Bestellliste beginnen – eine Geige basierend auf dem Modell von Guarneri del Gesu aus dem Jahre 1743 mit dem Beinamen „Kanone“.